BGer 4A_368/2023 vom 19. Januar 2024
Das Bundesgericht hatte sich in seinem Urteil 4A_368/2023 vom 19. Januar 2024 mit der Frage zu befassen, ob die ordentliche Kündigung der Arbeitgeberin missbräuchlich im Sinne von Art. 336 OR war. Dieser Entscheid verdeutlicht, unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung nicht als missbräuchlich anzusehen ist, selbst wenn sie auf Verdachtsmomenten beruht.
Im vorliegenden Fall trat B. (Arbeitnehmer, Beschwerdegegner) am 1. November 2010 als Director bei der Bank A. AG (Arbeitgeberin, Beschwerdeführerin) ein. Am 29. August 2018 meldete eine Mitarbeiterin sexuelle Belästigungen durch B. Die Bank leitete eine interne Untersuchung ein und kündigte den Arbeitsvertrag am 23. Oktober 2018 auf den 31. Januar 2019. Aufgrund von Krankheit und Unfall verlängerte sich das Arbeitsverhältnis bis zum 31. August 2019. B. klagte am 13. Juli 2020 auf Änderung seines Arbeitszeugnisses und auf Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung. Das Arbeitsgericht wies die Entschädigungsforderung ab, ordnete aber die Ausstellung eines neuen Arbeitszeugnisses an. In der Berufung sprach das Obergericht Zürich B. eine Entschädigung von CHF 70’000 zu. Die Bank legte daraufhin Beschwerde beim Bundesgericht ein. Das Bundesgericht hat die Beschwerde der Bank gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts aufgehoben. Die Klage von B. auf Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung wurde aus den folgenden Gründen abgewiesen:
Das Bundesgericht stellte klar, dass die strafprozessualen Garantien keine direkte Wirkung auf interne Untersuchungen eines Arbeitgebers haben. So begründen die Parteien eines Arbeitsvertrags freiwillig ein personenbezogenes Dauerschuldverhältnis. Anders verhält es sich im Strafverfahren, wo die beschuldigte Person unabhängig von ihrem Willen der staatlichen Strafgewalt unterworfen wird. Die Untersuchung der Bank wurde als ausreichend erachtet, obwohl sie nicht den strengen Anforderungen eines Strafverfahrens entsprach.
Das Gericht stellte zudem klar, dass nicht alle Details, insbesondere die Identität der meldenden Personen, offenbart werden müssen, um deren Schutz zu gewährleisten. Während der Arbeitnehmer gewisse Rechte hat, sich zu verteidigen, müssen diese nicht in gleichem Masse wie in einem Strafverfahren gewährleistet werden. Die Anforderungen an die interne Untersuchung dürfen nicht überspannt werden.
Das Bundesgericht betonte, dass im Arbeitsrecht das Prinzip der Kündigungsfreiheit gilt. Eine Kündigung ist nur dann missbräuchlich, wenn sie aus bestimmten, in Art. 336 OR umschriebenen unzulässigen Gründen ausgesprochen wird, wobei die Aufzählung nicht abschliessend ist. Das Bundesgericht hielt ausdrücklich fest, dass Verdachtskündigungen grundsätzlich zulässig seien, selbst wenn sich der Verdacht später als unbegründet erweisen sollte. So kann eine Kündigung aufgrund von Anschuldigungen durch andere Mitarbeitende dann missbräuchlich sein, wenn die Arbeitgeberin vor der Kündigung keine genügenden Abklärungen tätigt oder ihre Abklärungen den Verdacht nicht erhärten. Vorliegend habe die Arbeitgeberin jedoch umfangreiche Abklärungen durch ein eigens dafür vorgesehenes Team getätigt, worauf sich der Verdacht gegen den Arbeitnehmer erhärtet hatte.
Dieser Entscheid verdeutlicht die Grenzen der Missbrauchskontrolle bei ordentlichen Kündigungen und stellt klar, dass auch Verdachtsmomente eine rechtmässige Kündigung rechtfertigen können, sofern der Arbeitgeber sorgfältige Abklärungen trifft. Für Arbeitgeber ist es jedoch wichtig, interne Untersuchungen sorgfältig und unter Beachtung der Verfahrensrechte des Arbeitnehmers durchzuführen.
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